EIGENTLICHE LIEBE UND GEFÜHLE DIE WEH TUN

Autor*in: MORITZ FRANZ BEICHL
REZENSION: Markus Köhle
Am Anfang steht ein Ende. Eine Beziehung wurde beendet, die Umstände werden wir von einer Seite ausführlich präsentiert kriegen. Vom Ich, das dem Verflossenen schreibt, ein letztes Mal - immer und immer wieder ein letztes Mal. Das steigert sich vom Witz zum Wahn, das hat leicht fasslichen Unterhaltungswert und Tiefgang, das zieht rein, macht ein bisschen irre, macht dich da und dort traurig und betroffen, macht also ganz schön viel mit dir und macht immer auch noch Spaß. Denn darum geht's schon auch. Wer muss schon lesen? WhatsApp-Häkchen sind ja eine Kontrollinstanz, die im wirklichen Leben nicht zu haben ist. Überhaupt: Kontrolle - ein Unwort, ein Unding, eine Unmöglichkeit für dieses Ich, das hoch fliegt und jederzeit absturzbereit ist. Abstürze gibt es, so viel sei schon verraten, aber dieses Ich schwingt sich immer wieder hoch und schwebt mitunter über allem. Immerhin will der Protagonist auch Konventionen aufheben. Der Titel ist da ja schon richtungsweisend und der Titel ist nicht poetisch gemeint, sondern konkret. Die Existenz des Ichs freilich ist Poesie pur, ist Drama, Tragödie, Romcom und ist auch ein Stationen-Theater in fünf Teilen.

Der erste Teil entführt uns nach Berlin. Das Ich (Lukas) genießt alle Freiheiten des Großstadtlebens, hat seinen eigenen Lebensrhythmus, der durch die Trennung allerdings massiv ins Stottern gerät. Es geht um Liebe und Leiden und das Aufheben von Strukturen und gesellschaftlichen Zwängen. Es geht um große Fragen und große Themen. Was ist Glück, was ist Zufriedenheit, was Sicherheit? Was ist wichtiger: (Selbst-)Kontrolle oder Loslassen und Ausgelassen sein können?

A-Wort, D-Wort

Lukas findet Antworten darauf, braucht aber gut zehn Jahre dafür. Die großen Themen sind einerseits die Liebe und andererseits das A-Wort und das D-Wort. Angst und Depression stehen im Raum, im Text und werden zunehmend zentraler. Angst und Depression und der Umgang damit. Lukas will nicht nur mit seiner Situation klarkommen, er möchte die Depressionen überwinden. Er sucht nach einer Sprache, die geeignet ist, über Liebe und Depression reden respektive schreiben zu können. Er nimmt immer wieder neuen Anlauf, schreibt immer wieder anders. In Teil 1 WhatsApp-Nachrichten, dann Briefe und Mails (aus dem AKH Wien), Postkarten (mit dem Eiffelturm drauf aus Paris) und schließlich SMS (wieder in Wien). Immer andere Formen, immer eine andere Annäherung an die Themen, immer mehr Erkenntnis.

Lukas möchte auch sich selbst und am liebsten die gesamte Gesellschaft neu erfinden. Er findet, dass Lust geiler ist als Arbeit und dass der Mensch nicht auf seine wertschöpferischen Funktionen reduziert werden darf. Sein Credo lässt sich in etwa so zusammenfassen: Frag nicht, was der Sinn des Lebens und der Liebe ist, lass Sinnfreiheit und Lust zu!

Ja, Lukas will Großes und fragt sich zu Recht, was das denn für eine Gesellschaft ist, in der es wichtiger ist, Reichtum zu vermehren, als Elend zu verringern. Ob Lukas am Ende glücklich wird, ob er überhaupt glücklich sein kann, ob es ein Ende gibt und was damit dann beginnt, das dürft ihr gerne selbst nachlesen.

MORITZ FRANZ BEICHL. DIE ABSCHAFFUNG DER WOCHENTAGE. Residenz Verlag. 2022. ISBN 978-3-7017-1757-6