"Von Wegen" stellt drei Figuren in den Mittelpunkt, eigentlich aber dreht sich alles um die verstorbene Maja, das gemeinsame Leben am Ginthof und eine mögliche Zukunft in neuer Umgebung. Wir lernen Anna, Klaus und Georg näher kennen. Maja ist Annas adoptierte Tochter, die bei einem Unfall ums Leben kam. Ihr Tod bringt das Ginthof-Gefüge nachhaltig durcheinander, denn alle mochten Maja. Anna fährt zum Trauern nach Nepal (aus einem Waisenhaus dort kam Maja her). Georg ist in Griechenland auf der Suche nach seiner Sexualität (aber nicht nur), nur Klaus, der Privatkonkursit, der nicht aus freien Stücken Teil der Ginthof-Kommune wurde, kann sich schließlich ein Bleiben dort vorstellen (Klaus ist Georgs Humanitätsprojekt).
"Von Wegen" erzählt also von Lebenswegen, von drei Menschen um die Vierzig, die aus unterschiedlichen Gründen ihr bisheriges Leben eintauschten und versuchten, solidarisch und nachhaltig zu koexistieren. Das freilich geht so leicht nicht. Das haben schon andere erfahren müssen. Zumal am Land, als Städter. Probleme und Reibflächen sind vorprogrammiert. Dass der noch immer gierige Erotomane Klaus am besten mit der Landbevölkerung klar und dieser zum Teil (dem weiblichen) sehr nah kommt, ist schöne Ironie am Rande (am Lande). Freilich rechnet er auch ab mit seinen Brüdern und Schwestern, den frömmelnden Christenmenschen und dem Ach-so-tollen-Hof-Dasein (er ist vorwiegend fürs Zaunmachen zuständig), aber er verwandelt sich auch und wird vom Sex-Maniac zum Kinderfreund (zwar schon fertige und nicht seine Kinder, aber immerhin). Macho bleibt er. Dass er ausgerechnet von der Kirche erklärt kriegen muss, dass seine Finanzwelt auch nur auf leeren Heilsversprechungen fußte, ist ebenso lustig wie erleuchtend.
Ankommen kann er nicht
Klaus ist sprachlich konsequent im Twitter-Satz-Stakkato umgesetzt. Das sind oftmals richtig treffende Einsatzwatschen. Schlagfertig. Schlagkräftig. Bestimmt. Pointiert. Klaus Weltbild wankt, er wiegt sich sogleich sanft in ein neues rein (inklusive Frau, Kinder und Hof). Fiese Typen scheinen es tatsächlich leichter zu haben in unserer Gesellschaft. Besonders gute (wie Anna) und kluge (wie Georg) Menschen haben es schwieriger. Klug sein heißt oftmals nur unsicherer und zweifelnder zu sein. Klaus Direktheit kommt da bei Georgs Frau gut an. Georg selbst fühlt sich kurz bei einer zu allem entschlossenen (ja, auch zu Gewalt) Anarchistin in besten Händen, dann beim Athen-Flirt Konstantin. Aber ankommen kann er nicht (I mecht so gern londn). Da hilft keine Feldforschung im Homosexuellen- oder Obdachlosen-Milieu. Was ihm vorerst bleibt sind seine Kinder (auf die Klaus grad aufpasst) und die Kunst. Pappfiguren statt familiärem Rückhalt (auch kein Modell auf Lebenszeit).
Die Georg-Textteile sind durchdrungen von feingeistigen und politischen Diskursen und von Beobachtungen, die regelrechte Poesie-Explosionen darstellen. Georg ist ein Bildermensch und das gegenwärtige Athen mit seiner Urban-Art, den Graffitis an allen Wänden überwältigt ihn. Großartig, wie dieser Bilderreichtum in Sprache übertragen wurde - das sind herausragende Passagen. Wie auch Annas Auftaktkapitel sprachlich herausragt und begeistert. Da wird Spoken Word Duktus in Prosa eingewoben, dass es eine Freude ist. Das hat Mut und Kraft, das flowt und geht tief rein. Das ist anfangs vielleicht nicht ganz einfach zu lesen, lohnt aber. Das ist motiviertes und geglücktes Sprachexperiment. So muss Literatur heutzutage! Hoher literarischer Ton trifft auf Alltagssprache und geht fröhlich eine frucht- und erkenntnisbringende Symbiose ein. "Von Wegen" ist eigenständig, thematisch und sprachlich packend und will was verhandeln: Das gute Leben für alle. Was will man mehr von aktueller Literatur? Man will mehr solche aktuelle Literatur. Literatur mit Haltung, Anspruch, Mut zum Experiment und zur Unterhaltung. Chapeau!
BIRGIT PÖLZL. VON WEGEN. Leykam. 2020. ISBN 978-3-701181773