VOM LAND

Autor: DOMINIK BARTA
REZENSION: Martin Heidl
"Dass Theresa, um die sechzig und Bäuerin, sich plötzlich krank fühlt, bringt alle Gewissheiten ins Wanken. Die erwachsenen Kinder müssen anreisen, von wo auch immer es sie hin verschlagen hat, um endlich wieder miteinander zu reden. Theresas Mann muss lernen, Hilfe und Gefühle zu akzeptieren. Und selbst der zwölfjährige Daniel muss seinem verbohrten Onkel Max entschlossen entgegentreten, um seinen einzigen wirklichen Freund zu schützen. Theresa aber schweigt, findet keine Worte, keinen Weg. Mit großer Präzision und archaischer Kraft und Empathie erzählt Dominik Barta in seinem Debütroman von den Menschen und den Umständen. Er schreibt eine große Tradition der österreichischen Literatur fort und geht dorthin, wo die Provinz heute politisch ist."

Wie ein Dorfname, der den Reisenden auf einem Schild entgegentritt und das Wissen darüber, dass man(n) am Land ist. So ein Eingangstor stellt der Debütroman in seiner Gesamtheit dar. In einem verblendeten Grün ist es gehalten; das Coverbild zeigt einen wild wuchernden, aufgeschütteten Holzstoß, verziert mit einem grünen Streifen "Unkraut", daneben die notwendige asphaltierte Zufahrtsstraße; darüber thront ein Wolkendickicht mit bedrohlichem Ausmaß. Und die Familie am Hof lebt in ihren Traditionen fort, wenn nicht Theresa einen Ausbruch wagt, von dem es keine Wiederkehr mehr gibt.

Dominik Barta beschreibt als Lehrer, der sich gegen Ende hin als homosexuell outet, als Teilchen des Ganzen, in unaufdringlicher Weise vom Leben am Land mit all seinen Facetten; das Ich ein verschwindender Anteil, der im Familienleben aufgeht - im Buch als immer wiederkehrender, die Lebensbrüche darstellender, Erzähler. Das "Dorf", wie viele seiner Art: "... Die Dorfstraße war im Laufe der Jahrzehnte ständig verbreitert worden. Das höchste Gebäude war der betonierte Turm des Lagerhauses. ..."

Möglichkeit des Abgrundes

Das Buch kommt zu Beginn leise daher und als gelernte Österreicher können wir uns sehr gut die Bilder vorstellen und in sie hineingehen; es entwickelt einen Sog, dem ich nicht mehr entrinnen konnte. Und der Sog geht in den Lebensalltag hinein, sowohl dem politischen als auch dem gesellschaftlichen. Die Auswirkungen der "Flüchtlingskrise" machen vor keinem Hof halt. Barta beschreibt in klaren, einfach nachvollziehbaren Worten die verschiedenen Zugänge der Dorfbevölkerung und auch die Möglichkeit des Abgrundes in Form von Gewalt und Ungerechtigkeit, die letztendlich der Bauer und Jäger Erwin durch sein Einschreiten durchbricht.

"Drei Jahre später, nach Höhenfahrten und Talstürzen, war Rosalie von Fridolin zum zweiten Mal schwanger."
"Nach vielen Jahren Übung hatte sie gelernt, lautlos zu weinen."
"Der Fernseher stand an seinen Platz. Die Bilder waren die gleichen wie eh und je."
Beispiele der gelungenen literarischen Verarbeitung vom Leben am Land. Das beeindruckende Debüt stachelt mich an, wieder genauer hinzusehen.

Erst unlängst kam ich mit einer älteren Dame im Erdgeschoß eines Wiener Gemeindebaus ins Gespräch über die "lauten Ausländer" ..., und dass Sie nicht mal mehr Fernsehen kann - die Möglichkeit den Fernseher in einen anderen Raum zu verfrachten, wo es still war, war keine. Denn dann wäre das "wie eh und je" verloren gegangen.

"Mir stand zu, Verhältnisse, die ich mir niemals ausgesucht und die mich ein Leben lang gequält hatten, hinter mir zu lassen. Jeder hat das Recht, neu zu beginnen oder seinem Leben eine neue Form zu geben ..."

Wenn's denn gelingt, das ist immer die Frage, ob die Familiengeschichte einem die Möglichkeit zulässt, eine neue "Formatierung" zu gestalten. Der Familienrucksack ist oftmals zu schwer, um eben das zu schaffen ...
Theresa geht ihren eigenen Weg - den letzten.
Vom Land kann auch von der Stadt sein - lassen Sie sich darauf ein!


DOMINIK BARTA. VOM LAND. Zsolnay. 2020. ISBN 978-3-552-05987-0