GEWACHSEN IM SCHATTEN

AUTORIN: ANNEMARIE REGENSBURGER
Rezension von Wolfgang Kühn
Mit Autobiografien ist das oft so eine Sache. Aus unterschiedlichen Lebensbereichen bekannte bis berühmte Frauen und Männer versuchen, sich zu Lebzeiten ein mehr oder weniger verdientes Denkmal zu setzen bzw. setzen zu lassen. So manches wird geschönt, so manches wird unter den Tisch fallen gelassen, aus so mancher Mücke wird ein Elefant gemacht. Im Fall der vorliegenden Autobiografie ist das ganz anders. Die 1948 in Stams geborene Tiroler Autorin Annemarie Regensburger wird vielen nicht so geläufig sein. Einen Namen machte sie sich in den achtziger Jahren als sozialkritische Dialektautorin, die in einem Atemzug mit Christine Nöstlinger und Anna Nöst genannt wurde.

Erdrückendes Kreuz eingeimpften Glaubens

Annemarie Regensburger schenkt uns mit "Gewachsen im Schatten" ein außerordentlich berührendes Stück Gesellschaftskritik und Autobiografie in einem. Ihre Kindheit und Jugend als bloß "schwer" zu bezeichnen, käme einer Verhöhnung gleich. Der Vater, der "Tate" in der Landesheil- und Pflegeanstalt in Hall, die Mutter verstorben, als "das Kind" neun war, drei Geschwister durch Tod im Säuglingsalter verloren, das alles unter einem schier erdrückenden Kreuz eines von frühester Kindheit eingeimpften Glaubens. Der an einer Stelle des Buches geäußerte Satz "Ein strafendes Gottesbild aufzuarbeiten, war wohl der schwerste Rucksack im Leben der Frau, den es zu entrümpeln galt" kann als Leitfaden der "Geschichte einer Befreiung", so der Untertitel des Buches, gelesen werden.

Viel Farbe erhält die Autobiografie durch die oftmals einfließenden Sätze im Tiroler Dialekt, die dem Buch einen ganz eigenen poetischen Klang verleihen. "Gewachsen im Schatten" - eine außergewöhnliche und unglaublich ehrliche Autobiografie einer Frau, die im Leben nie zu resignieren begonnen hat.

ANNEMARIE REGENSBURGER. GEWACHSEN IM SCHATTEN. GESCHICHTE EINER BEFREIUNG. Tyrolia-Verlag. 2013, ISBN 978-3-7022-3301-3