DIE FREQUENZEN

AUTOR: CLEMENS J. SETZ
REZENSION: ERIKA WURZENRAINER
Lassen Sie uns Zug fahren. Wenn Sie anfangen zu lesen, dann sind Sie schon mittendrin im Abteil, erschrecken Sie nicht.

Hurra, ein dickes Buch. Hurra, ein tadellos geschriebenes Buch. Der Einband schützt das Hardcover gut, das Lesezeichenbändchen wartet auf seinen Dienst und das Photo wirkt amerikanisch – das Amerika wo ein Alttankstellenbesitzer immer noch mit einem Wählscheibentelefon zurechtkommt und wo ein paar Meilen weiter die neueste elektronische Technik uns allen davongaloppiert. So verheißungsvoll viel sieht mich das Bild an.

Zwei leicht verschwommene Kinder laufen von einem verschwommenen Haus weg, ein grosser (verschwommener) Baum teilt optisch das Haus in zwei gleich grosse Teile. Das Bild zeigt an, dass keine kurze Geschichte dahinter lauern kann, auch keine einfache. Man erahnt Familiäres. Grundsätzlich geht es um das Schicksal zweier (in Folge mehrerer) Menschen – ein Zopf wird geflochten. In einer Sprache, in der für meine Begriffe alles passt. Sämtliche Vergleiche, Beschreibungen und so fort sind stichhaltig und stimmen einfach.

Geschlechtsakt live

Geschlechtsakte kommen vor und sind anschaulich. Kaum etwas wird vorweggenommen. Man ist also live dabei. Die Erzählung dessen was sie dabei tun lässt die Vorstellungskraft an den Start gehen und die nüchtern-sachliche Art der Beschreibung phantastisch werden. Zum Teil geil, zum anderen soll es manchmal schnell zur Hauptsache kommen, schnell über die Hauptsache hinwegkommen.

Der Text ist geprägt von einer gesteigerten Beobachtungsgabe. Schirch, wie er über Valeries Bauchnabel den Weg zu ihrem Alter nimmt (er ist ein wenig eingedrückt, wirkt eingenickt). Wahrnehmen und vergleichend Beschreiben ist in Setz bei diesem Buch sicher zu einer Höchstform gereift.

Spannung? Nein.

Bei allem was tadellos ist fehlt die Spannung. Das Buch ist also nicht spannend. Aber drehen Sie sich nicht gleich weg! Zeilen tragen die Bürde einer Anspannung der Menschen und Dinge die nicht an ihrem Platz sind, den Humor der Verspannten und die Schärfe eines aufgespannten Adlerauges sowie den Sturzflug desselben auf die noch entspannte Beute. Ganz optimal an einem bequemen Platz zu lesen, sodass die Sprache aufgenommen werden kann.

Fazit: pflückreife Frucht am Bücherbaum, flugfähig, niederschlagbereite Wolke. Das zu lesen ist schön.

CLEMENS J. SETZ. DIE FREQUENZEN. Roman, Residenz Verlag, 2009, ISBN 978-3-7017-1515-2