DER FLIEGENPALAST

AUTOR: WALTER KAPPACHER
REZENSION: ERIKA WURZENRAINER
Gut geeignet für den Umstand, einfach mal ein Buch lesen zu wollen. Verstehen Sie mich ruhig falsch, aber lesen Sie zumindest weiter: äußerst angenehmer Sprachausdruck. Wohlfeile Verbindung zwischen gewähltem Wort und zu erzählendem Inhalt, edles Satzbaugeschmeide. Zudem Seitenblicke auf politische und wirtschaftliche Verhältnisse 1924, zur Zeit Hugo von Hofmannsthals.

H. sieht, dass sich eigentlich sehr vieles verändert hat. Seine Entfremdung dem Heute gegenüber, die Komplexität einer Veränderung, die, selbst wenn sie klein ist, immer auch ein Verlassen (worden), ein Weggehen bedeutet. Was nicht mehr da ist, fällt sehr stark auf. Demgegenüber was da ist hegt H. ein subtiles Misstrauen. Auch ein Unvermögen es anzunehmen.

Wir begleiten H. für 10 Tage in seine vergangenen Jugendjahre nach Bad Fusch (unter anderem) und denken seine Gedanken mit ihm, gehen mit ihm spazieren und versuchen wie eh und je das zu finden, was wir brauchen, um sein zu können wer wir sind. Ich erkenne darin die Angst des nicht Wiederauffindbaren des Brauchbaren, das Unverständnis des Vorherrschenden, das Seiende als Aufdringlichkeit und vor allem das Kleine, deren Wichtigkeit man sich nicht länger entziehen kann. Ich habe auch die Anwesenheit einer Geste, die Freiheit eines Gedankens und die Freude über eine Nebensächlichkeit geschaut. Das kann ich alles mit H. teilen. Er 1924, ich jetzt. Wunderschön die Angst um die Holzbank, ob sie denn frei sei, bündig und feinfühlig das Wahrnehmen der Haarrisse als unvermeidbaren Beginn von etwas Frischem, einer anderen Welt und schlimmer: das leise, immer weiter vorangetriebene Brechen (und gebrochen werden) der eigenen, die man eigentlich nicht vorhatte aufzugeben.

Kein reißerisches Unheil

Zärtlich im Ausdruck wahrgenommener Individualität: "(..) Kreuzotter (..) tot gestellt hatte. (..) schlängelte sie sie sich schließlich auffällig langsam - als wollte sie klarmachen, daß dies keine Flucht war - ins Unterholz."

Ein Text, den man genießen kann, der kein reißerisches Unheil aufdrängt, der es jedoch auch nicht negiert und der, so salopp es klingen mag: komplett interessant bleibt. Leicht rauer Papiereinband mit Schnörkel, die ich zwar auch gerne male, sie aber doch nie so hinkriege. Auf jeden Fall ein Fenster zum Eingang. Kurz habe ich gehofft, das Buch sei unter dem Einband braun, schwarz erscheint mir jedoch persönlich als angenehme Überraschung. Die zweite Freude: ein Lesezeichenbändchen.

Fazit: Grundsätzlich hängt man lieber an dem was man kennt. Da man bei jedem Abschied nur winken, nicht aber wiederkehren kann, ist möglicherweise für Schwermütige, oder eher noch für die Heiteren, heilsam zu wissen: es war noch nie anders. Ein leises Buch in Laufschuhen über eine Zeit, die in jedem Moment zur Vergangenheit geworden ist. Gutes Buch, das dem zuweilen nervösen H. zum Trotz ein gemütliches Lesegefühl erzeugt.

WALTER KAPPACHER, DER FLIEGENPALAST, Residenz Verlag, St. Pölten - Salzburg, 2009, ISBN 978-3-7017-1510-7