ÜBER FREIBADVERHALTENS-
WEISEN, JEANS-WASCHUNGEN UND DAS ERWACHSENWERDEN

AUTORIN: VERENA GÜNTNER
Rezension von Markus Köhle
"Es bringen" hat mich voll erwischt. Der Debütroman von Verena Güntner ist soeben bei KiWi erschienen, 2012 erreichte sie mit einem Ausschnitt daraus die Finalrunde beim OpenMike Berlin, 2013 heimste sie beim Bachmann-Preis den KELAG-Preis ein. Da hatte man sich noch gefragt, wie das mit Luis wohl weiter gehen wird, bzw. gesagt, dass der präsentierte Text ein toller Audi sei, dem man gerne bis ans Ziel folgen würde. Ich bin gefolgt und kann nur allen empfehlen, dies auch zu tun.

Luis, der 16jährige Held der Geschichte, hat nämlich einen Plan. Er will nicht zu klug sterben, er will nicht ewig im Wohnsilo im 15. Stock leben, er will hart zu sich selbst und anderen sein und ist bereit, Entbehrungen hinzunehmen. Er ist Trainer und Mannschaft, das Ich ist die Mannschaft und der Trainer hart. Da gilt es zum Beispiel die Höhenangst (HA) zu überwinden - aber nicht nur. Rituale (Trink- und Pissspiele, diverse Trophäensammlungen) und Übungen (niemals Aufzug, die 15 Stockwerke immer zu Fuß!) bestimmen den Alltag. An Geld kommt Luis durch Fickwetten (FW), seine diesbezüglichen Erfolge sichern auch seine Stellung in der Gang. Milan ist der Boss, der ist allerdings vier Jahre älter, dann kommt schon Luis. Marco ist der Fette der Band, die anderen sind nicht der Rede wert. Nein, halt: Pony Nutella ist schon etwas Besonderes, wie auch Jenny (bei beiden darf Luis er selbst sein).

Physisch und sprachlich kraftsprotzend

Luis nennt seine Mutter Ma, sie ihn Meise. Ein verletzliches Vöglein will Luis allerdings nicht mehr sein. Was er sein will, weiß er noch nicht ganz genau, das ist typisch für sein Alter. Er will in sich hinein sehen können, schabt an seiner Haut, weiß aber auch, dass das nichts bringt. Luis will es aber bringen: beim Ficken, beim Saufen, bei allem, was in seiner Welt was zählt. Stark genug fühlt er sich dafür - selbst mit Rippenprellung. Luis überspielt seine Verletzlichkeit und Orientierungslosigkeit gekonnt. Er ist physisch und sprachlich kraftsprotzend.

Luis schaut vom 15. Stock auf die Stadt runter und will gesellschaftlich rauf. Ma hat's ja verbockt, aber sie hat ihn und er hat einen Plan. Dass Luis Plan nicht auf allen Ebenen aufgehen kann, ist klar und auch gut. Es geht viel rauf und runter in dieser Entwicklungsgeschichte und natürlich kann selbst Luis mal die Kontrolle verlieren. Aber er macht seinen persönlichen Canossagang zum Nebelhorn. Mit Flip-Flops, Jogginganzug vom belächelten Turnlehrer und stumpfem Sprungmesser den Berg des Erwachsenwerdens zu erklimmen, ist ein schwieriges Unterfangen - aber besser als nackt am Matratzenwagen im Schulturnsaal aufgefunden zu werden.

"Es bringen" ist ein überaus gelungener Roman aus der Perspektive eines 16jährigen: rührend, sprachlich konsequent, glaubhaft und stark wie Trinkspielstufe 3. Um es anders zu sagen: TAG = Total Abgefahren Gut!

VERENA GÜNTNER. ES BRINGEN. Kiepenheuer & Witsch. 2014. ISBN 978-3-462-04692-2