WIE VIEL ERDE BRAUCHT DER MENSCH?

AUTOR: WILFRIED F. NOISTERNIG
Rezension von Martin Heidl
"Wie viel Erde braucht der Mensch?" Diese Frage stellt sich Wilfried Noisternig immer häufiger, als er auf seinen langen Spaziergängen in einem etwas abgeschiedenen Weiler oberhalb von Matrei am Brenner einen Bauern kennenlernt. Mit 27 Jahren ist die Ziehmutter gestorben, seither lebt er allein auf dem Kugler Hof im Tiroler Wipptal. An diesem Ort scheint die Zeit stehengeblieben zu sein für einen Menschen, der seit Jahrzehnten in Handarbeit ohne Zuhilfenahme von modernen Maschinen seinen Hof bewirtschaftet und abseits von Konsum und Hektik des modernen Alltags ein genügsames aber zufriedenes Leben lebt.

Eines der schönsten Bücher Österreichs im Jahre 2016, prämiert in der Kategorie 4, Zeitgenössische Kunstbände, beim Wettbewerb für die Staatspreise der schönsten Bücher Österreichs. Edel gestaltet, mit einem verlockenden einstimmenden Bild am Einband; der Bauer als kleines Lebewesen eingerahmt in die Naturlandschaft der Berge und Wiesen und hineingestellt in den Ablauf der Gezeiten. In mir taucht mein erstes Kinderfotoalbum auf, welches ähnlich gestaltet war.

Und wir haben hier ein Fotoalbum vom Leben des Kugler-Bauern vor uns. Sein erstes. Nach einem Vorwort mit einer kurzen Beschreibung über die Hintergründe der Entstehung des Buches, erleben wir einfühlsame Bilder über die Arbeit und Lebensweise des Bauern im Wechsel der Jahreszeiten.

"I hun alleweil g'rad so viel getan, wia sich's aus'gangen isch."

Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen; die Frage, was ein zufriedenes Leben sei, stellt sich hier gar nicht, da die Tage und Nächte den Rhythmus des Daseins mit den zu bewältigenden Aufgaben vorgeben. In Zeiten des Burn-Outs und des Alltagsdrucks möglichst viel unterzubringen und anzuhäufen, ist hier trotz der Schwere des Lebens eine Genügsamkeit und Akzeptanz zu spüren, die einen "Städter" beschämen mag. Die Reduktion auf das Wesentliche - damit wäre dem Menschen und der Natur gedient.

Nahezu ohne maschinelle und damit lautstarke Unterstützung Bauer zu sein, ist eine Verneigung vor der Natur; wie sehr belästigen wir uns selbst mit Lärm, den die Maschinen erzeugen, obgleich ein achtsamerer Umgang "freundlicher" wäre.

Die Bilder bieten Ausschnitte, Mikrokosmen des Alltags des Bergbauern an und lassen uns hineinblicken in eine scheinbar so altertümliche Welt; doch wie sehr beneiden wir diesen Mann in so manchen Stunden des Nachdenkens über unser Eigenes. Und das erlaubt bzw. fordert der Fotoband - das Innehalten und Verweilen in so manchen Bilderreisen mit den Geschichten, die erzählt werden; dazwischen eine weiße Seite, um nochmal zurückzublättern, zu sinnieren, und dann wieder weiterzugehen.

Die Einsamkeit dieses Daseins, eingebettet in die Natur, scheint dem Bauern zu genügen; doch hinterlässt es bei mir offene Fragen mit nachdenklichen Überlegungen über das Leben in Gemeinschaft und Familie, bzw. Eingebundenheit in ein soziales Gefüge.

"'s Wichtigschte war mir immer, die Bauernschaft weiterzuführ'n, des hatt mir immer Freud' g'macht - jed'n Tag, von der Friah bis zur Nacht!"

Wer kann das von sich schon behaupten?

Eine Anmerkung sei mir erlaubt: Ich finde, dass die graue Übersetzung ins Hochdeutsche, unter den sehr stimmigen Zitaten, nicht notwendig ist, denn selbst als Niederösterreicher sind die Worte alle verständlich, insbesondere, wenn man es sich laut vorliest.

Die Erzählung von Leo Tolstoi am Ende rundet das Buch wunderbar ab. Zeitlos gültig. Ein sensibles Buch, das man(n)/frau immer wieder gerne zur Hand nimmt.

WILFRIED F. NOISTERNIG. WIEVIEL ERDE BRAUCHT DER MENSCH? Lebensspuren eines Bergbauern - Ein fotografisches Porträt. Mit der gleichnamigen Erzählung von Leo Tolstoi. Tyrolia Verlag, 2017. ISBN: 978-3-7022-3573-4