EINE INSEL IST KEINE LÖSUNG

Kathrin Kuna interviewt: Judith Schalansky
Judith Schalansky wurde in Greifswald geboren und lebt in Berlin. 2008 erschien ihr Debüt, der Matrosenroman Blau steht dir nicht. Ihr Atlas der abgelegenen Inseln wurde ein Jahr später zum schönsten Buch Deutschlands gekürt. Im folgenden Interview erzählt sie unter anderem, wie sie zum Schreiben kam und welche Bedeutung das Reisen für sie hat.

DUM: Wie hat alles begonnen? Wie kamst du zum Schreiben? Wann?
Eigentlich über das Büchermachen. Geschrieben habe ich zwar schon als Kind. Nicht enden wollende Aufsätze und Abenteuergeschichten. Und als Jugendliche natürlich Gedichte. Aber dann habe ich nicht Literatur studiert, sondern Kunstgeschichte und Design. Beim Gestalten von Büchern ist mir aufgegangen, dass Form und Inhalt nicht zu trennen sind. So sind es auch immer Bücher, die ich mir ausdenke. Und Bücher müssen nun einmal geschrieben werden. Also schreibe ich.

DUM: Was liest du gerne? Und wo?
Ganz klassisch: Am allerliebsten die Zeitung am Frühstückstisch. Aber sehr gerne auch merkwürdige Forschungsberichte in der Berliner Staatsbibliothek, in der Ecke hinter den Lexika und Wörterbüchern. Tatsächlich lese ich sehr gerne wissenschaftliche Literatur, vor allem wenn sie längst überholt ist.

DUM: Wie findest du die Themen für deine Bücher?
Beim Herumstöbern. In fremden Büchern und eigenen Erinnerungen.

DUM: Kannst du das Reisen im Kopf gut mit dem Reisen mit Koffer verbinden?
Ich reise nicht so furchtbar gerne. Die physische Anwesenheit wird meiner Meinung nach überschätzt.

DUM: Welche der abgelegenen Inseln in deinem neuen Buch würdest du gerne mal selbst bereisen?
Wenn der Weg dahin nicht so weit wäre, dann auf die subantarktische Campbell-Insel, die noch einige Hundert Kilometer südlich von Neuseeland liegt. Kartografisch ist sie nämlich ausgesprochen reizvoll: Fjorde, Berge, Flüsse und eine ausgefranste Küste.

DUM: Du hattest letzten Spätsommer ein Schreibstipendium in der Villa Aurora in Kalifornien. Magst du erzählen, wie es war?
Kalifornien war auf früheren Karten ja auch mal eine Insel. Und die Villa Aurora ist eben ein Künstlerort in der Villengegend von Pacific Palisades. Was soll ich sagen? Man steht auf der Terrasse, sieht den endlosen Ozean und kommt nicht zum Arbeiten. Aber ich habe einiges erlebt und verstanden. Und dass ich viel mehr nicht verstehen konnte, ist gar kein schlechtes Zeichen.

DUM: Welche Rolle spielen Feindbilder für dich? Hast du überhaupt welche?
Leider habe ich keine. Ich glaube, ich sollte mir welche zulegen. Das Leben wäre einfacher.

DUM: Fraktur mon Amour ist aus deinem Studium Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign entstanden. Der Matrosenroman Blau steht dir nicht war dein Prosadebüt, danach folgten die Erzählungen im Atlas der abgelegenen Inseln. Worauf dürfen wir uns als nächstes freuen?
Ich arbeite an einem Bildungsroman über eine Biologielehrerin. Er wird im nächsten Jahr erscheinen.

DUM: Welche Rolle spielt das Unterrichten für dich?
Es ist ein belebender Ausgleich zum einsamen Schreibtischdasein, der dafür sorgt, dass meine sozialen Fähigkeiten nicht verloren gehen.

DUM: Wenn es zur Verfilmung deiner beiden Prosawerke käme, über welchen Regisseur würdest du dich freuen?
Über jemanden, der sich die Texte genauso zu eigen macht, wie ich mir die Geschichten, die ich recherchiert habe. Jemand, für den Angemessenheit das wichtigste künstlerische Kriterium ist.

DUM: Inseln als abgelegene oder abgeschottete Orte gibt es ja auch in unserem Alltag. Welche findest du paradiesisch, welche eher bedenklich?
Für mich sind Bibliotheken immer noch erstaunliche Räume, die - obwohl sie oft im Stadtzentrum liegen - doch sehr abgelegen erscheinen. Und wie die Zeitungsmeldungen auf der Vermischtes-Seite lehren, sind es gerade die abgeschotteten Räume unter uns, die zu Tatorten werden und die abgeschotteten Räume in uns, die uns zu Tätern machen. Seit der Arbeit an dem Atlas der abgelegenen Inseln glaube ich wieder an das Festland, an die regulierende Kraft eines Miteinanders. Ich muss es so pathetisch sagen. Eine Insel ist jedenfalls keine Lösung.

DUM: Vielen Dank.


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